Als Frau alleine auf dem NST – ein Erfahrungsbericht
Ob Mann oder Frau, wer kennt sie nicht, die Gedanken über die erste Nacht in freier Natur? Das nächtliche Alleinsein im Freien kann zu beunruhigenden Gedanken und Fragen führen, insbesondere vor oder während der Vorbereitung auf eine Wanderung mit Übernachtung in der Natur.
In den meisten Fällen wirst Du nach Deiner Wanderung völlig erschöpft in Deinen Schlafsack fallen und sofort einschlafen. Aber was, wenn nicht? Was, wenn Du noch hellwach und etwas beunruhigt mit gespitzten Ohren in die Nacht lauschst?
Was wird da draußen nachts um mich herumschleichen? Ist es ein Mensch? Werde ich erwischt? Oder ist es doch nur ein kleiner Kauz?
Wenn ich als Mann schon diese Ängste verspüre, wie ist es dann für eine Frau, nachts alleine im Wald? Auf TikTok gibt es eine interessante Umfrage, die sich an Frauen richtet: Wem würden sie lieber nachts im Wald begegnen, einem Bären oder einem Mann? Die Antwort ist fast immer der Bär. Die Absicht hinter dieser Umfrage ist klar: Sie soll uns Männer sensibilisieren und zum Nachdenken über unser Verhalten ermutigen. Was hat ein Mann auch nachts im Wald verloren? Gut, ich glaube, wir Fernwanderer sind die Zielgruppe dieser Frage. Natürlich trifft man nachts auf Fernwanderwegen auch Mitwanderer und fremde Personen. Ich glaube, keine Fernwanderin würde in dieser Situation einen Bären in der Hütte bevorzugen. So viel zum Realitätscheck. Aber zurück zum eigentlichen Thema: Wie geht man mit Ängsten um?
Wir haben „Deichschaf“ gefragt, sie hat den Nord Süd Trail 2023 komplett erwandert und viele Nächte alleine in der Natur geschlafen. Was hat sie zu berichten? Ist es wirklich so schlimm? Viel Spaß bei ihrem Erlebnisbericht.
Moin, ich bin Deichschaf, weiblich, 32 Jahre alt, und habe von Mitte April bis Mitte Oktober 2023 den NST bewältigt. Nun darf ich hier davon berichten. Da ich unterwegs sowie von Freunden oft gefragt worden bin, wo ich denn schlafe und ob mir das Draußenschlafen keine Angst mache, möchte ich hierauf den Fokus legen.
Am Anfang meiner Reise, Mitte April 2023, hatte ich noch nie allein draußen im Wald oder in einer Schutzhütte geschlafen. Ich habe meine ersten Wanderschritte auf dem Camino Frances in Spanien gemacht. Der Jakobsweg ist auf dem Abschnitt, den ich gewandert bin, hervorragend mit Herbergen ausgestattet, in denen Pilger für wenig Geld ein Bett in einem Schlafsaal bekommen. Auf dem Westweg, der meine ersten Erfahrungen mit dem Draußenschlafen für mich bereithielt, war ich nicht allein.
Weil ich außerdem in Schleswig-Holstein geboren und aufgewachsen bin, war für mich klar, dass Campen vor Mai aufgrund des Wetters sowieso keine Option ist. (Heute sehe ich das ein bisschen anders.) Trotzdem war mir klar, dass ich mir eine Reise auf dem NST nur leisten konnte, wenn ich früher oder später damit anfangen würde.
Glücklicherweise konnte ich im Abschnitt Nord zunächst noch nach Hause fahren und später immer wieder auf Freunde, Familie und Bekannte zurückgreifen. Die Hilfe von Trailangels nahm ich nicht in Anspruch. Zu groß waren meine Bedenken, allein als Frau zu fremden Menschen zu gehen und um Hilfe zu bitten. Ich wollte Fremden meinen Schlafplatz nicht preisgeben. Dadurch sind mir sicher einige positive Erfahrungen und Begegnungen entgangen, doch ich war einfach noch nicht so weit.
Ab dem Heidschnuckenweg wurde mein Netzwerk dünner und das Wetter wärmer, also hatte ich keinen Grund mehr, das Draußenschlafen weiter aufzuschieben. Für meine erste Nacht in einer Schutzhütte hatte ich Glück: Ein anderer Fernwanderer, mit dem ich bereits tagsüber ein paar Stunden unterwegs gewesen war, war schon dort. Mit einem erfahrenen Gegenüber, das mir zeigte, worauf es bei der Lagerwahl ankommt, war die erste Hürde genommen.
Besonders gut geschlafen habe ich trotzdem nicht. Zu viele unbekannte Geräusche. Selbst der kleinste Vogel, der im Laub raschelte, klang nachts wie ein Säbelzahntiger. Aber es lohnte sich wirklich, diese müden Nächte auf sich zu nehmen, denn mit der Zeit schlief ich draußen immer besser.
Da der Fernwanderer auf einem anderen Weg unterwegs war als ich, trennten sich morgens unsere Wege, und ich war auf mich gestellt. Lustigerweise trafen wir uns erst wieder, als ich zum ersten Mal allein draußen im Wald schlafen musste, sodass ich auch diese Hürde nicht allein nehmen musste.
Was ich aus diesen Situationen mitnehme: Es ist einfacher, allein draußen zu übernachten, wenn man schon Erfahrungen zu zweit gesammelt hat.
Mit der Zeit gewöhnte ich mich ans draußen schlafen. Bei der Platzwahl verließ ich mich meist auf mein Bauchgefühl. Am Anfang war es mir beim Zelten wichtig, mich tief ins Unterholz zu schlagen, um nicht gesehen zu werden, möglichst spät auf- und möglichst früh abzubauen, aber damit wurde ich später auch entspannter.
Am liebsten ist mir mittlerweile das Schlafen in Schutzhütten, da diese zumeist noch Bänke bieten und ich morgens das Zelt trocken einpacken kann. Natürlich begegneten mir dort auch andere Wanderer oder Radwanderer. Obwohl ich mir am Anfang vorgenommen habe, bei belegten Hütten weiterzuziehen, war das einfach nicht praktikabel. Auch hier wurde ich mutiger. Wenn ich nach einer Unterhaltung kein schlechtes Bauchgefühl hatte, wurde die Hütte geteilt. Zumeist waren die „Mitbewohner“ auch zu Fuß unterwegs und die Unterhaltungen interessant, spannend und informativ. Hatte ich ein schlechtes Bauchgefühl, oder war eine Schutzhütte mit Junggesellenabschied oder der feiernden Dorfjugend belegt, zog ich weiter und suchte mir abseits einen Platz zum übernachten.
Hinweise zum Wildcamping
Die Initiative Nord Süd Trail spricht hier in aller Deutlichkeit NICHT von Wildcampen oder Lagern. Ein paar Stunden Schlaf in einer Schutzhütte außerhalb von Schutzgebieten hat nichts, aber auch gar nichts mit „Campen“ oder „Lager“ zu tun.
In Deutschland ist das Wildcampen/Wildzelten mit Zelt im Allgemeinen nicht erlaubt, und das Zelten in freier Natur ist nur an bestimmten Orten gestattet, z. B. auf offiziellen Naturlagerplätzen, Trekking- und Biwakplätzen sowie Campingplätzen oder mit Genehmigung des Eigentümers des Waldes/Feldes/Grundstücks. Das Übernachten ohne Zelt ist eine rechtliche Grauzone und in Deutschland abseits der Schutzgebiete nicht ausdrücklich verboten. Hinzu kommt, dass das Übernachten in Schutzhütten auf den großen Fernwanderwegen mittlerweile weitgehend toleriert wird, was einen großen Fortschritt darstellt.
Bitte beachte darüber hinaus, dass Du Dich in jedem Naturraum verantwortungsvoll und rücksichtsvoll gegenüber Tieren, Pflanzen und der Natur verhältst und Dich an die „Leave No Trace“-Philosophie beziehungsweise den NST-Kodex hältst.
Mit der Zeit wurde ich mutiger und fragte unterwegs an Häusern nach dem Weg oder nach Wasser. Als mir in einem Freibad jemand begegnete, der mir eine Waschmaschine und einen Zeltplatz im Garten anbot, nahm ich das gerne an. Wir hatten einen wunderschönen gemeinsamen Abend, und am nächsten Morgen wartete eine Kanne Tee auf mich. Es hatte sich gelohnt, Fremden zu vertrauen.
Auch auf meinem weiteren Weg wurde ich immer wieder von Menschen eingeladen, bei ihnen zu übernachten oder mit ihnen zu essen. Diese Begegnungen waren stets herzlich, informativ und wunderbar. Ich lernte auch, Trail Angels explizit um Hilfe zu bitten, und traf auf unglaublich freundliche und liebenswerte Menschen.
Allen Menschen, denen ich unterwegs begegnet bin, die mich begleitet haben und mir Stück für Stück meine Ängste genommen haben, bin ich sehr dankbar!
Besonders ist mir ein Morgen im Hegau in Erinnerung geblieben, an dem ich einen grandiosen Sonnenaufgang genießen konnte. Am Abend zuvor hatte ich eine Schutzhütte ausgeschlossen, weil sie mir zu gut einsehbar war. Stattdessen entschied ich mich, auf einem Gipfel bei einem Kreuz zu schlafen – hervorragend einsehbar, aber auch mit einer tollen Aussicht verbunden.
Für mich habe ich drei „Regeln“ gefunden, wie ich mich beim Draußenschlafen sicher fühle. Erstens ist mir mein Bauchgefühl bei der Ortswahl sehr wichtig. Es kam vor, dass ich an einem netten Ort war und aufbauen wollte, als mein Bauchgefühl mir sagte, dass es nicht gut sei. Daraufhin ging ich weiter und suchte einen anderen Ort.
Zweitens ist es mir wichtig, mit eventuellen „Mitbewohnern“ in einer Hütte oder an einem inoffiziellen Campingplatz zu sprechen, bevor ich aufbaue. Auch hier höre ich wieder auf mein Bauchgefühl.
Drittens informiere ich immer mindestens eine Vertrauensperson über meinen Standort und eventuelle Personen, die mit dort sind.
Würde ich etwas anders machen, wenn ich den NST noch einmal laufen würde? Ja. Ich denke, ich würde früher anfangen, draußen zu schlafen und mir damit einige interessante Erlebnisse in öffentlichen Verkehrsmitteln ersparen. Außerdem würde ich diesmal früher die Hilfe von Trail Angels und aus der NST-Gemeinschaft in Anspruch nehmen, denn diese Begegnungen machen den Weg für mich einmalig!
Deichschaf – Thruhiker, Klasse von 2023
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